Wolfgang Bosbach: Was sich in Deutschland ändern muss


In dieser Folge spricht Dominik Klenk mit Wolfgang Bosbach. Er gehört seit Jahrzehnten zu den beliebtesten Politikern in Deutschland, weil er dafür bekannt ist, Klartext zu reden. Sie unterhalten sich über die jetzige Situation in Deutschland und der Welt, über politisch heiße Themen wie Krieg, Klima und Zuwanderung, sowie über Bosbachs neues Buch «Totalausfall».

Dominik Klenk: Sie waren 23 Jahre Bundestagsabgeordneter und haben die deutsche Politik vor allem seit der Zeit der Wiedervereinigung wesentlich mitgeprägt. Sie überschauen dieses Land politisch seit fast 50 Jahren. Sie sind Vater und haben inzwischen Enkel. Wie geht es Ihnen, wenn Sie an die Herausforderungen der nächsten Generation denken?

Wolfgang Bosbach: Sie haben Recht, dass ich jetzt seit fast 52 Jahren politisch aktiv bin. Ich hab 23 Jahre kommunalpolitische Erfahrungen gesammelt, 23 Jahre bundespolitische Erfahrung. Es gab noch nie eine Zeit, in der ich mir aus ganz verschiedenen Gründen so viele Sorgen gemacht habe über die aktuelle Lage des Landes, aber auch bezüglich unserer Zukunft, wie in den letzten Jahren. Ich absolviere 150-200 Veranstaltungen im Jahr, die allesamt gut besucht sind, und ich sehe in die Gesichter des Publikums und spüre, dass ich nicht alleine mit diesen Sorgen unterwegs bin. Ich möchte eine Sorge in Bezug auf meine Töchter, meine Enkelkinder und auf die nächste Generation herausgreifen. Ich fürchte, wenn wir so weiter machen, dass wir das Versprechen nicht einhalten können, was zu meiner Jugendzeit noch gegolten hat: das Aufstiegs- und Wohlstandsversprechen. Wenn du fleißig lernst, dir Mühe gibst und hart arbeitest, dann geht es dir auch Jahr für Jahr ein Stück besser. Dann geht es mit dem Land bergauf, dann geht es mit einem persönlich bergauf. Das ist nicht mehr so. Das ist deshalb traurig, weil viele Menschen etwas leisten wollen. Es ist ja nicht so, dass sich die meisten in die soziale Hängematte legen möchten. Aber sie fragen sich, ob Aufwand und Ertrag noch im gesunden Verhältnis stehen.

Absolut. Man spricht heute gerne von Selbstwirksamkeit. Man möchte das eigene Leben gestalten. Jeder ist des eigenen Glückes Schmied. Warum ging das nach dem zweiten Weltkrieg fast ein halbes Jahrhundert gut? Und können Sie irgendetwas wahrnehmen, was da passiert ist wie eine Bruchstelle, warum das jetzt nicht mehr funktioniert?

Das kann man sehr gut anhand eines Satzes des Bundeskanzlers erklären. Er ist vor nicht allzu langer Zeit gefallen und hat mich sprachlos zurückgelassen. Der Satz lautet: Wir werden im Zuge der Transformation der Wirtschaft unseres Landes im neuen Zeitalter, das geprägt ist von Digitalisierung, Nachhaltigkeit, usw., wieder Wachstumsraten und Wachstumschancen haben wie in den 50er- und 60er-Jahren. Solche Sätze erfüllen den Tatbestand des groben Unfugs. Wir hatten in den 50er-Jahren im Schnitt 8% Wirtschaftswachstum, in den 60er-Jahren im Schnitt 4% Wachstum, obwohl wir auch ein Rezessionsjahr hatten. Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Wachstum zwischen 0,1% und 0,2%. Wie kommt der Kanzler dazu zu sagen, wir könnten Wachstumsraten erzielen zwischen 4% und 8%? Das war in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren völlig anders. Auch damals gab es Rezessionsjahre – denken Sie an die Ölkrise 1973. Aber danach ging es wieder stetig bergauf. Die Menschen kamen aus einer Talsohle und sie fassten wieder Zuversicht. Der Arbeitsmarkt hatte sich stabilisiert, der Staat konnte mehr investieren aufgrund höherer Einnahmen und die Menschen spürten: Es geht uns besser als in den Jahren zuvor. In den letzten Jahren, insbesondere seit Antritt der Ampel, haben wir den Zusammenhang verloren zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes und der sozialen Leistungsfähigkeit. Zu glauben, Deindustrialisierung und Stagnation, um nicht zu sagen Rezession, ließe sich vereinbaren mit einem stetigen Ausbau des Sozialstaates, das wird nicht funktionieren. Du kannst nicht antreten gegen die Mathematik.

Stagnation in der Wirtschaft ist gerade das, was wir erleben. Und gleichzeitig gibt es Projekte und Fantasien, den Sozialstaat immer weiter auszubauen. Und man hat das Gefühl, wegen der demografischen Lage, dass die Träger des Wirtschaftswachstums immer weniger werden und die Bedürftigen des Sozialstaates immer mehr. Wie kann das funktionieren oder kann es überhaupt funktionieren?

Auf der einen Seite haben wir doch einen Höchststand an Beschäftigung, auch an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, was nicht nur, aber auch daran liegt, dass die individuelle Arbeitszeit kürzer geworden ist. Es ist klar, dass wenn die Menschen im Schnitt pro Person weniger arbeiten, dass dann zur Erledigung des Gesamtvolumens an Arbeit mehr Menschen benötigt werden. Auf der anderen Seite sehen wir anhand der demografischen Entwicklung unseres Landes, dass wir dringend angewiesen sind zu handeln, damit wir den Wohlstand nicht einbüßen. Neben dem Thema Migration gibt es hier vielfältige Möglichkeiten: bessere Organisation der Kinderbetreuung, mehr staatliche Angebote, höhere Erwerbstätigkeit von Frauen, von Halbtagsbeschäftigung in eine Ganztagsbeschäftigung. Oder man mobilisiert ein erhebliches Potential für den Arbeitsmarkt, das jetzt noch als arbeitslos gemeldet ist oder Bürgergeld bezieht. Aber wenn sie sich einmal die großen sozialen Sicherungssysteme ansehen: Die Hälfte aller Krankenhäuser in Deutschland schreibt rote Zahlen, zwischen hellrot und dunkelrot. Bei der Pflege werden wir erleben, dass wir immer mehr Pflegebedürftige haben, aber eine geringere Anzahl von Möglichkeiten der Pflege im häuslichen Umfeld trotz Hilfe durch ambulate Pflegedienste. Das Thema «Rente», «Rentebezugsdauer» ist in den letzten Jahren immer länger geworden. Zwischen 2026 und 2041 werden 15 Mio Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rente gehen. Eine solche Zahl hatten wir in den letzten Jahren nie. [...]

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