Weil ich es will: Ein vitaler Beitrag zur Diversität

«Weil ich es will» sagen 39 Frauen und Männer, die in diesem Buch zur Wort kommen: Sie möchten ihren homoerotischen Empfindungen nicht das letzte Wort über ihren Lebensstil geben. Ein kontroverses Thema, das leider nicht mehr kontrovers geführt wird. Gedanken zum Buch von Dominik Klenk.

Menschen müssen erzählen können, was ihnen widerfahren ist. Wer die eigene Geschichte in Worte fasst, der ordnet nicht nur sein Leben, sondern der gibt ihm auch Bedeutung.

Dabei wohnt jedem Erzählen ein Geheimnis inne: Erzählen ist menschlich und Erzählen macht menschlich. Erzählen benötigt Zeit und Erzählen überwindet Zeit. Erzählen braucht Gemeinschaft und Erzählen schafft Gemeinschaft. Menschheitsgeschichte ist erzählte Geschichte. Und die christliche Erzählgemeinschaft ist das Weiterreichen der frohen Botschaft im biblischen Narrativ von einer Generation zur nächsten. Keine andere Geschichte hat kraftvoller Kreise gezogen. Ein besonderes Textil entsteht, wenn sich die persönlichen Geschichten von Menschen sichtbar mit dem großen Narrativ von Gottes Heilsgeschichte verweben: Wenn die eigene Sehnsucht und der eigene Schmerz, die eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse Halt und Einbindung finden in den großen Geschichten von Konflikt und Versöhnung, von Abkehr, Umkehr und Neuanfang im Volk Gottes.

Die 39 Lebensgeschichten, die die Frauen und Männer in diesem Buch mit uns teilen, sind darum ein besonderer Schatz: Sie geben Zeugnis von einem Leben, das mit einer höheren Anbindung rechnet und sich von ihr halten und immer wieder neu ausrichten lässt. Damit schließen sich die Autoren an die biblischen Erzählungen an. Sie orientieren sich am Wort, das in ihnen lebendig werden darf und geben dem Gewebe der biblischen Weisungen und Weisheiten Bedeutung. Zum Teil sogar mehr Bedeutung als ihrer eigenen Gefühlslage.

Das mag uns ungewöhnlich und unzeitgemäß erscheinen, zeugt aber von einem hohen, weil zeitlosen Ethos, das im Vertrauen auf den Gott gründet, der die (Un)Tiefen unserer Herzen besser kennt als wir selbst. Das griechische Wort ethos bezeichnete ursprünglich den „Weidezaun“. Und so entsteht zwischen den Zeilen der einzelnen Geschichten ein Raum, in dem Menschen sich verorten können: umgeben vom Wort und von der Liebe Gottes, erfüllt mit dem Zuspruch von Gefährten, die ihr Anliegen teilen und ernst nehmen.

Der Wunsch, unsere Sexualität in einen tragenden und fruchtbaren Rahmen einzufrieden, ist so alt wie die menschliche Zivilisation. Gleichzeitig sind wir – ob aus Misstrauen, aus Übermut oder der Angst, zu kurz zu kommen – immer wieder selbst die größten Boykotteure dieser Sehnsucht. Es ist bemerkenswert, wie enthemmt unser Äon das Niederreißen des Ethos und das Ausbrechen aus allen „Weidezäunen“ als die neue Moral in Kirche, Gesellschaft und im privaten Lebensvollzug feiert. Wohin diese Emanzipation führt, ist noch nicht absehbar. Allem Anschein nach mehrt die in Regenbogenfarben getauchte Landschaft aber weder die Freude noch die Zufriedenheit, weder die Freiheit noch die Verbundenheit in unserer Generation. Im Gegenteil: auf den entgrenzten Weideflächen machen sich vermehrt Unrast, Vereinzelung, Mangelgefühl, Ängste, Orientierungslosigkeit und tiefe Resignation breit. Gleichzeitig wächst der Druck auf jene, die anders leben wollen.

Auch und gerade deswegen sind die 39 Zeugnisse ein vitaler Beitrag zur Diversität – sie machen die Stimmen, Perspektiven und Geschichten vernehmbar, die im Mainstream sonst untergehen. Diesen Stimmen möchte das Buchprojekt Gehör verschaffen. 

Dr. Dominik Klenk

Nachwort aus: «Weil ich es will» von Markus Hoffmann (Hrsg.), S.324–325

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