Eine Debatte mit nur einer zulässigen Meinung ist keine

Zeitung brennt

Eine «falsche Gleichgewichtung» ist eine mediale Verzerrung, bei der Meinungen von Minderheiten im Verhältnis zur Konsensmeinung bzw. wissenschaftlichen Fakten eine zu hohe Gewichtung bekommen. Ehemaliger BILD-Redakteur Ralf Schuler gibt diesem Ungleichgewicht ein Gesicht. Ein Auszug aus seinem neusten Buch «Generation Gleichschritt».

Auch gesellschaftspolitisch ist die «False Balance»-Theorie nichts anderes als ein ziemlich dreister Versuch der Meinungslenkung und gefährlich obendrein. Wer ernsthaft glaubt, gesellschaftlichen Frieden und sachlichen Diskurs im Internet-Zeitalter durch einen vorfestgelegten Meinungskorridor erreichen zu können, ist mindestens naiv, wenn nicht gar offen autoritär. Eine Debatte mit nur einer zulässigen Meinung ist keine.

Im Gegenteil: Das konsequente Weglassen einer bestimmten, zumeist durchaus vorhandenen und im Hintergrund gärenden Meinung in öffentlichen Debatten führt geradenwegs zu Argwohn, Misstrauen und Ablehnung von Politik und Medien.

Das Kuriose an dieser Theorie besteht darin, dass der journalistische Versuch, Ausgewogenheit herzustellen, hier unter kritischen Beschuss gerät und sich mit der offenen Forderung konfrontiert sieht, gerade nicht ausgewogen sein zu sollen, sondern nur die «Wahrheit» aufs Podium zu lassen.

Spätestens hier beginnen Zeitgenossen mit einer Ü-40-Biografie leicht zu frösteln. Wo nur «Wahrheiten» zulässig sind, schließt die offene Gesellschaft ihre Pforten. Denn auch die angeblich probaten Gegenmittel sind eher schwierig. So gab sich die BBC mit Blick auf den Klimawandel 2018 eigens besondere Leitlinien, in denen es unter anderem heißt:

Die BBC erkennt an, dass die […] Position des IPCC die beste Wissenschaft zu diesem Thema ist. […] Da akzeptiert wird, dass der Klimawandel stattfindet, wird für eine Gleichgewichtung der Debatte kein «Leugner» benötigt.

Das klingt plausibel, setzt aber den sogenannten Weltklimarat als Vertrauensinstanz erst einmal willkürlich voraus.

Keine seriöse Redaktion käme aber analog im nationalen Kontext auf die Idee, die Meinung der Bundesregierung, eines Bundesamts oder auch nur des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) gewissermaßen als journalistische Glaubenskongregation festzulegen. In der politischen Debatte wäre das gezielte Weglassen von Mindermeinungen, etwa beim Thema Ukraine-Krieg, Corona-Politik oder Gender-Fragen, nicht nur willkürlich, sondern geradezu explosiv.

So plausibel die eingangs zitierten Beispiele auch erscheinen mögen, sie sind Ausweis eines vordemokratischen Diskursverständnisses. Es ist auch nicht so recht einzusehen, woher die offenkundige Angst vor der Infektiosität solcherart inkriminierter Meinungen kommt und warum wir mit derartiger Verzagtheit (um mal eine milde Interpretation der böswilligen vorzuziehen) an die Dinge herangehen sollten.

Glaubt Steffens im Ernst, der Protagonist der Scheiben-Erde könnte eine gefährliche Anhängerschaft akquirieren, wenn man ihn aufs Podium ließe?

Als Donald Trump «alternative Fakten» über die Besucherzahl bei seiner Inauguration verlautbaren ließ, offenbarten die aktuellen Fotos sehr schnell, dass zwischen Wunsch und Wahrheit eine erhebliche Diskrepanz klaffte.

Und selbst wenn es sich um schwierige Materien handelt, ist es die Pflicht von Demokraten, abwegige Theorien glaubwürdig zu entkräften und zu widerlegen.

Infektiös im übelsten Sinne zeigte sich die «False Balance»-Theorie übrigens während der Corona-Pandemie, als der sogenannte Satiriker Jan Böhmermann in einem Podiumsgespräch den TV-Moderator Markus Lanz dafür kritisierte, den Virologen Hendrik Streeck mit vermeintlich gefährlich falscher Lehrmeinung in seine Talk-Sendung gelassen zu haben.

Man kann im Nachgang nur froh sein, die Corona-Expertise nicht den Lautsprechern Karl Lauterbach und Professor Christian Drosten überlassen zu haben.

Demokratie ist anstrengend und durch das Internet nicht bequemer geworden. Alle Versuche, sich in einer Demokratie dadurch Erleichterung zu verschaffen, dass man Meinungen und ihre Protagonisten aussortiert, wegschweigt oder wegsperrt, sollten bereits im Ansatz Alarm auslösen: Sind sie zu stark, sind wir zu schwach.

Eine andere Spielart von «False Balance» bringt die freiheitliche Demokratie allerdings ebenfalls aus dem Gleichgewicht: das wenig repräsentative politische Meinungsspektrum unter Journalisten. Die in losen Abständen von verschiedenen Instituten durchgeführten Befragungen weisen mit schöner Ausdauer ein in Richtung links-grün verschobenes Weltbild der Medienbranche auf, das offenbar immer mehr Rezipienten mit Missfallen zur Kenntnis nehmen.

«Eine Befragung unter 150 Volontären des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kam zuletzt zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Demnach würden fast 60 Prozent der Volontäre die Grünen wählen, 25 Prozent die Linken. Bei den Nachwuchsjournalisten würde die Union an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern», schreibt Lennart Pfahler im Juni 2021 in der Tageszeitung «Die Welt».

Christian Hoffmann, Professor für Kommunikations-Management an der Universität Leipzig, bestätigt die Zahlen und ist nicht überrascht: «Die große Mehrheit der Journalisten – die Zahlen variieren ein bisschen, mal sind es zwei Drittel, mal sind es 70 bis 80 Prozent – steht nach eigenen Angaben links der Mitte.»

Dass dieser Umstand nicht ohne Folgen für die Berichterstattung bleibt, überrascht ebenfalls nicht. Bei Talkshows werde laut Hoffmann etwa deutlich, dass Grünen-Politiker in Relation zur Parteistärke im aktuellen Bundestag überproportional oft eingeladen würden. Auch bei der Themenauswahl sieht der Kommunikationsexperte eine klare Schieflage: Wenn es etwa um die Frage gehe, worüber mehr berichtet werde – über den Klimawandel oder über Migration –, dann werde deutlich, dass es laut Studien einen Einschlag hin zu linken Themen gebe.

Erklärungen für diese politische Schieflage unter Medienleuten zu finden sind schwierig: Zum einen kann man ein Übergewicht «progressiver» Geister in allen Kreativbranchen beobachten, von den Künsten bis zum Kabarett. Für Hoffmann deutet zudem vieles darauf hin, dass Menschen mit eher bürgerlicher politischer Einstellung mehr Wert auf materielle Sicherheit legen und daher vermeiden, den oft prekären Beruf des Journalisten zu ergreifen.

«Auf der anderen Seite zeigen Untersuchungen, dass Menschen, die eher links orientiert sind, eine höhere subjektive Befriedigung aus politischem Engagement ziehen. Und das macht einen Job, in dem man auf die öffentliche Agenda Einfluss nimmt, vielleicht sogar Politik beeinflussen kann, für linksorientierte Menschen umso attraktiver.»

Mit anderen Worten: Medien ziehen linke «Überzeugungstäter» geradezu an.

Interessanterweise kommen die vielen Journalisten, die gern und häufig Quotierungen für Frauen, Migranten etc. fordern, nicht auf die Idee, eine «Konservativen-Quote» in Redaktionen zu fordern.

Selbstverständlich kann niemand ernstlich Gesinnungsquoten wollen, sie wären praktisch auch schwer umzusetzen. Aber dass Redaktionen ihre eigene Schieflage bemerken, ist trotzdem gar nicht so selten.

So erzählte eine Kollegin vom Deutschlandfunk, man sei sich bewusst, dass die Kommentatoren durchweg links seien, und habe überlegt, ob man nicht wenigstens einen Konservativen mit hinzunehmen sollte. Man habe dann aber auch keinen gefunden und die Idee aufgegeben.

Ich selbst wurde ebenfalls von einer klar links verorteten Redaktion angesprochen, ob ich nicht, gewissermaßen als Stimme gegen den Strich des Blattes, bei ihnen einsteigen wolle: Der Konservative als Exot, den man sich als Kolumnen-Kanari im linken Käfig hält.

Für das Vertrauen in Medien und Informationen ist die links-grüne Schlagseite allerdings ziemlich bedrohlich.

«Die Unzufriedenheit mit der Berichterstattung, die unter Konservativen schon vor dem Social-Media-Zeitalter ausgeprägter war, wie Studien zeigen, nimmt so weiter zu», sagt Hoffmann.

Und natürlich kann es einer Gesellschaft nicht egal sein, wenn Medien ihren eigenen Gleichschritt pflegen und die Mediennutzer sich abwenden, weil ihre alltägliche Weltsicht im Angebot von öffentlichen und privaten Sendern, Zeitungen, Plattformen nicht oder nur unterdurchschnittlich vorkommt.

So könnte beispielsweise ein Leser der «Süddeutschen Zeitung» anhand der Häufigkeit des Themas zu dem Schluss kommen, dass ein Drittel, wenn nicht gar die Hälfte der Deutschen, in Regenbogenfamilien leben und die Transpersonen einen großen, bislang missachteten Personenkreis ausmachen und nicht deutlich unter ein Prozent der Bevölkerung stellen.

Auch hier ist eine Art «False Balance» am Werk, die den Protagonisten des Schlagworts allerdings vermutlich nicht sonderlich unter den Nägeln brennt.

Die Dominanz einer bestimmten einseitigen Denkrichtung im öffentlichen Raum gehört ganz klar zu jenen Mechanismen, die den Gleichschritt befördern, weniger robuste Naturen von Wortmeldungen abhalten und sie der «sozialen Erwünschtheit» folgen lassen, wie es die Soziologen nennen.

Die Folge sind einseitige, verengte Debatten, ausbleibende Unterstützung für Freigeister, denen man lieber heimlich und privat seine Sympathie ausdrückt, aber besser nicht öffentlich mit ihnen gesehen werden will, und ein Klima des Wegduckens und der staatsbürgerlichen Apathie.

aus: «Generation Gleichschritt» von Ralf Schuler, S. 104–110

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