Warum Erziehungsratgeber gefährlich sein können

Kind schaukelt

Eltern wollen ihre Kinder bestmöglich auf das Leben vorbereiten. Gut gemeinte Elternratgeber lösen dabei oft das Gegenteil aus und setzen Eltern ungewollt noch mehr unter Druck. Der siebenfache Vater und Familientherapeut Philip Mamalakis schreibt in seinem Buch «Große Ziele, kleine Schritte» über die Kunst des Antwortens. Ein Auszug.

Seit ich den Unterschied zwischen dem Antworten und Reagieren in Erziehungssituationen kennengelernt habe, sehe ich meine Schwächen als Vater ziemlich deutlich. Mir ist klar geworden, wie oft ich auf das Fehlverhalten meiner Kinder reagiere, ohne nachzudenken. Kaum etwas hat mich als Vater so betroffen gemacht wie die Erkenntnis, unsere Kinder durch mein Agieren oder Reagieren verletzt zu haben.

Zum Nachdenken über Erziehung gehören oft Momente, in denen uns bewusst wird, dass wir Dinge falsch gemacht haben. Das tut weh, aber es ist gut, wenn wir es erkennen. Wir alle machen Fehler. Fachleute wissen um die Tatsache, dass Eltern nicht perfekt sind und dass die meisten Kinder mit einer Erziehung, die «gut genug» ist, wunderbar klarkommen. Die meisten Eltern lieben ihre Kinder und versuchen zu tun, was für sie am besten ist, und Grenzen zu setzen. Unsere Kinder werden verstehen, dass wir sie lieben, auch wenn sie unsere Unvollkommenheit erleben.

Ungeachtet dessen ist es ein Akt der Liebe zu unseren Kindern, die Berufung der Elternschaft anzunehmen und sich der Herausforderung zu stellen, zu antworten, statt zu reagieren. Sie werden beobachten, dass Kinder ebenfalls mit Liebe darauf antworten. Dieses Buch kann das Problem der Erziehung nicht lösen, denn Erziehung ist kein Problem, das es zu lösen gilt. Dieses Buch soll vielmehr dazu dienen, etwas von der Ungewissheit und Verwirrung wegzunehmen, die Erziehung manchmal umgibt. Es soll Eltern helfen, den Umgang mit ihren Kindern bewusst zu gestalten.

Um zu antworten, müssen wir unsere jeweiligen Optionen in einer Situation durchdenken und diejenige auswählen, die unseren Kindern die beste Möglichkeit zum Lernen verschafft: Wenn wir unseren Kindern beibringen wollen, nachzudenken, bevor sie handeln, müssen wir es ihnen vorleben. Es ist also am klügsten, wenn wir als Eltern selber auch nachdenken, bevor wir handeln. Antworten heißt, jedes Fehlverhalten als Gelegenheit für eine Lernerfahrung zu begreifen.

«Aber es ist unmöglich, unseren Kindern immer zu antworten und nie zu reagieren!» Und: «Was von uns als Eltern verlangt wird, ist unrealistisch.» Solche Einwände höre ich häufig von Eltern. Und ich stimme zu: Es ist unrealistisch, anzunehmen, dass wir niemals mehr kurzschlussartig reagieren werden. In Kapitel 16 werden wir darauf zu sprechen kommen. Doch häufig sind es dieselben Eltern, die einerseits von ihren Kindern erwarten, dass sie zuhören und geduldig, freundlich, sanftmütig und beherrscht sind, und die andererseits selbst unbeherrscht reagieren, wenn ihre Kinder etwas falsch machen. Das ist unrealistisch.

Ich meine nicht, wir müssten vollkommen sein. Ich sage: Wenn wir unseren Kindern beibringen wollen, auf alle Schwierigkeiten, die ihnen im Leben begegnen, zu antworten, statt zu reagieren, dann müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen also lernen, auf die Schwierigkeiten, vor die ihre Erziehung uns stellt, so oft wie möglich zu antworten, statt darauf zu reagieren.

Wir haben bereits über den ersten Schritt gesprochen, wie wir lernen können, unseren Kindern zu antworten: Wir müssen über unsere langfristigen Ziele nachdenken. Antworten heißt, die Tatsache zu erkennen und zu respektieren, dass unsere Kinder gerade dabei sind, Geduld, Freundlichkeit, Sanftmut, Selbstbeherrschung, Disziplin sowie das Treffen guter Entscheidungen einzuüben – im Wesentlichen entspricht genau dies unseren langfristigen Zielen.

Ist es tatsächlich so, dass Kinder unaufhörlich lernen, dann folgt daraus, dass wir uns unaufhörlich in der Rolle von Lehrerinnen und Lehrern befinden. Indem wir konsequent auf das Verhalten unserer Kinder antworten, erweisen wir ihnen Respekt, stärken wir unsere gegenseitige Beziehung und leben ihnen vor, wie man antwortet. In dieser engen Eltern-Kind-Beziehung folgen Kinder unserem Beispiel, übernehmen unser Verhalten und unsere Werte und erfahren, was es heißt, erwachsen zu werden. Wir brauchen sie nicht zu Erwachsenen zu machen; das passiert von ganz allein. Wir brauchen nur zu lernen, wie wir auf sie und ihr Fehlverhalten eine gute Antwort geben können, während sie die nötigen Wachstumsschritte machen.

Denn allgemein erwerben die Kinder den Charakter ihrer Eltern, werden geprägt in der Form des Temperaments ihrer Eltern, lieben dieselben Dinge, die ihre Eltern lieben, reden in derselben Weise und arbeiten auf dieselben Ziele hin. (Hl. Johannes Chrysostomusüber Ehe und Familienleben)

Wenn ich bei meinen Vorträgen über Erziehung an diesen Punkt komme, höre ich oft: «Okay, ich soll also antworten, statt zu reagieren, aber wie mache ich das? Was ist denn meine Antwort?»

Schon wenn wir uns das kurzfristige Reagieren verkneifen und über unsere langfristigen Ziele nachdenken, wird sich unsere Erziehung augenblicklich verändern. Aber um genauer herauszufinden, wie wir antworten können, müssen wir uns vorher mit den Gründen hinter dem Fehlverhalten unserer Kinder beschäftigen ...

aus: «Große Ziele, kleine Schritte» von Philip Mamalakis, S.68–71

Das könnte dich auch interessieren

Bernadette Lang: Jesus ist der größte Romantiker

In dieser Folge spricht Rebecca Krämer mit der österreichischen Autorin Bernadette Lang über ihr...
Weiterlesen

Juliane von Krüdener – Eine Revolutionärin mit Herz für Jesus

Vor 200 Jahren, am 25. Dezember 2024, starb die Schriftstellerin Juliane von Krüdener auf einer...
Weiterlesen

Lydia Schwarz: Eine Zeitreise zurück zu Ostern

In dieser Folge spricht Lektorin Anne Helke mit Lydia Schwarz über ihren neuen christlichen Fant...
Weiterlesen